«Wissen allein reicht nicht aus.»

Wie entwickeln Mitarbeitende ihre Kompetenzen? Welche Rahmenbedingungen müssen Unternehmen dafür schaffen? Kompetenzforscher Prof. Dr. John Erpenbeck erklärt im Interview, weshalb die emotionale Verinnerlichung von Werten zentral ist.

Ein Interview mit dem Berliner Forscher John Erpenbeck

Warum Wissen und Kompetenz nicht das gleiche sind und wie wir am besten Kompetenzen entwickeln.

Professor Dr. Erpenbeck, Sie sind seit 30 Jahren einer der führenden Kompetenzforscher. Derzeit erfährt der Kompetenzbegriff eine Wiederbelebung. Weshalb?


Der Ausdruck «Wiederbelebung» trifft es nicht ganz. Vor 30 Jahren war der Begriff «Kompetenz» noch weit weniger verbreitet als heute. Das heisst, er wurde nicht wiederbelebt, sondern wurde immer mehr benutzt. Allerdings ist es schon richtig, dass gerade in Unternehmen, aber auch in Schulen, Universitäten und anderen Bildungseinrichtungen vor allem Wissen und Wissensvermittlung im Mittelpunkt stand. Nun merkt man aber sowohl in der Bildung als auch in der Arbeit, dass Wissen allein nicht mehr ausreicht.

Wissen ist keine Kompetenz, das hat die Kompetenzforschung gezeigt. Was heisst das für die einzelnen Mitarbeitenden?


Das heisst, es reicht nicht, auf Menschen einzureden oder sie in Schulungen zu schicken, um sie dort mit Wissen abzufüllen. Menschen wissen viele Dinge, aber um handeln zu können, braucht es tief verankerte Werte und Wertorientierungen. So kann man beispielsweise lange auf Leute einreden, sie müssten innovativ sein. Das bringt nichts, wenn keiner der angesprochenen Menschen, innovationsfähig sein möchte oder «innovativ sein» als etwas Positives erlebt. Wenn man auf die Leute einredet, dann wissen sie zwar, dass sie es sein sollten, sind es aber trotzdem nicht.

Was muss man also tun, wenn man Mitarbeitenden in ihrer Kompetenz der Innovationsfähigkeit stärken möchte?


Wenn ein Unternehmen innovationsfähige Mitarbeitende haben möchte, müssen zuerst einmal bestimmte Rahmenbedingungen geschaffen werden. Unnötige Einschränkungen und Kontrollen etwa sind hinderlich für ein «Innovationstraining». Die Rahmenbedingungen zu schaffen reicht aber noch nicht. Selbst wenn Mitarbeitende ein «Innovationstraining», etwa wie ein «Kreativitätstraining», absolvieren könnten, müssen sie zuerst den Wert «Innovationsfähigkeit» verinnerlichen. Innovation muss sich «gut anfühlen». Erst dann kann die Innovationsfähigkeit in verschiedenen beruflichen Situationen geübt und angewendet werden.

Warum fällt es Unternehmen so schwer, die Emotionalität des Menschen aktiv anzusprechen?


Der Homo Oeconomicus ist eines der bekanntesten Beispiele dafür, dass sowohl in der Forschung als auch in der Praxis viel zu lange auf die «Mechanik» des menschlichen Denkens und der Prozesse in Unternehmen gesetzt wurde. Es gibt noch heute berühmte Beratungsunternehmen, die fast ausschliesslich in der fordistischen Tradition beraten, die also Unternehmen wie riesige Maschinen ansehen, die man durch Drehen der richtigen Knöpfe und Hebel optimieren kann. Das ist natürlich einfacher und hat auch lange funktioniert. Nur mit den neuen selbstorganisativen, disruptiven, komplexen Entwicklungen und den viel höheren Anforderungen an die Mitarbeitenden kam dieser Ansatz an seine Grenzen.  Unternehmen müssen heute das ganze Potenzial des Menschen ausschöpfen. Dazu gehören auch Werte und Kompetenzen. Auch die Forschung hat diesbezüglich einen Wandel durchlebt: Denken Sie nur an die Wirtschafts-Nobelpreise für die Verhaltenspsychologen Kahneman oder Thaler, die sich von den traditionellen Wirtschaftswissenschaften distanzieren. Das sagt viel aus.

Ist es denn so einfach, Wertorientierungen und Kompetenzen von Mitarbeitenden zu verändern bzw. zu entwickeln?


Nein. Ganz bestimmt nicht, aber es ist möglich. Führung spielt dabei eine grosse Rolle und die Anforderungen an Führungskräften steigen dementsprechend. Wichtig ist, dass man sich verabschiedet von der Idee, man könne Menschen Werte belehrend-rational vermitteln. Es reicht nicht, zu sagen, «unsere Werte sind Initiative, Partnerschaftlichkeit und Engagement». Das bedeutet wenig, solange Menschen diese Werte nicht emotional verinnerlicht, also «interiorisiert», haben. Ein emotional nichtssagendes Wort kann überall stehen und hat trotzdem keine Bedeutung. Wenn man aber anfängt, entsprechend zu führen, vorzuleben, Menschen in wert- und kompetenzfördernde Arbeit einzubinden, dann reagiert das Gehirn nicht nur rational, sondern auch emotional. Das wiederum ist die Grundlage für die Entwicklung von Kompetenzen.

Was sagen Sie zu der Aussage, dass gewisse Mitarbeitende sich nicht entwickeln können?


Menschen entwickeln ihr ganzes Leben lang Kompetenzen. Im Guten wie im Schlechten. Das kann man gar nicht aufhalten. Schauen sie mal, was man im Privatleben ständig an Kompetenzen entwickelt und abruft. Man lernt mit alten Menschen umzugehen, weil die eigenen Eltern alt werden. Man entwickelt Organisationsfähigkeit, weil man in einem Verein eingebunden ist. Menschen betreiben ständig Kompetenzentwicklung, aber es ist ihnen oft nicht bewusst. Das Problem ist nur, wie kann ich solche Kompetenzentwicklung ins Unternehmen übertragen? Es hilft bereits, wenn man diese natürliche, permanente Entwicklung nicht durch mechanische und restriktive Arbeitsumgebungen behindert. Viele Mitarbeitende, von denen man denkt, sie würden sich nicht entwickeln lassen, werden durch das Arbeitsumfeld emotional daran gehindert, das zu tun. Dann verlassen sie das Büro und können es plötzlich wieder. Deshalb ist die emotionale Verinnerlichung von Werten so wichtig. Unternehmen sollten sich auf zwei Dinge konzentrieren: Zum einen sollten sie aufhören, die Menschen in ihrer Kompetenzentwicklung zu behindern und sollten hemmende Rahmenbedingungen abschaffen. Zum anderen sollten sie sich überlegen, welche Werte und Kompetenzen für sie relevant sind und diese rational und emotional vermitteln, so dass die Kompetenzentwicklung der Mitarbeiterschaft auch in die gewollte Richtung gelenkt wird.

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